Hören, was andere sehen

Einer der besten sehbehinderten Gewehrschützen Europas, der Vorarlberger Patrick Moor, erzählt im Gespräch mit 10,9 von der dramatischen Wende, welche die Diagnose Makuladegeneration in seinem Leben hervorgerufen hat. Aus dem Loch, in das er in der Zeit der nachlassenden Sehstärke gefallen ist, zog sich der 46-Jährige mit eigener Kraft heraus. Das Sportschießen wurde dabei zum größten Motivationsfaktor. Als erfolgreicher Sportler, Organisator und Produktentwickler blickt Moor auf die ereignisreichen vergangenen Jahre zurück.

  

10,9: Bis vor elf Jahren waren Ihre Augen gesund. Wie haben Sie Ihr Augenlicht verloren?
Moor: Im Jahr 2005 hat meine Erkrankung begonnen, eine Makuladegeneration, durch die ich innerhalb weniger Monate über die Hälfte des Augenlichtes verloren habe. Zu dieser Zeit war ich beruflich am Höhepunkt und die Diagnose eine große psychische Belastung. Inzwischen bin ich bei etwa 10% Gesamtsehkraft und das wird so bleiben. Es war damals allerdings noch nicht abzusehen, wie weit die Erblindung gehen wird.

10,9: Wie sind Sie zum Sportschießen gekommen?
Moor: Es war für mich anfangs schwierig, irgendetwas zu tun, weil die Situation für mich fremd war und ich nicht wusste, welche Möglichkeiten für Blinde bestehen. Dann lernte ich einen älteren Herrn kennen, der selbst schon einige Jahre erblindet und ein Schütze war. Er hatte das alles bereits durchgemacht und erklärte mir, welche Hilfsmittel im Alltag sinnvoll sind. Mit der Zeit entstand eine Freundschaft. Seine Bitte, sie bräuchten noch einen Schützen für die Mannschaftswertung bei der Österreichischen Staatsmeisterschaft, machte mich neugierig. Nach einiger Überredungszeit sagte ich ihm, wenn, dann möchte ich es mit einer gewissen Qualität machen, und trainierte daraufhin anfangs mit einem Jugendgewehr. Ich merkte bald, dass ich mit entsprechender Konzentration ebenso gut schießen konnte wie ein Sehender. Beim ersten Bewerb, der Tiroler Landesmeisterschaft, erzielte ich gleich den ersten Platz, was mich motivierte, auch an der Staatsmeisterschaft in Dornbirn teilzunehmen. Mit T-Shirt und meinem Jugendgewehr wurde ich von den Top-ausgerüsteten Konkurrenten belächelt. Niemand kannte mich und mein Startplatz war ausgerechnet direkt neben dem amtierenden Weltmeister, der – nebenbei bemerkt – mittlerweile ein guter Freund geworden ist. Ich habe dann einfach drauflos geschossen und die 60 Schuss in 35 Minuten absolviert. Als ich alle Schüsse abgeschlossen hatte und mich setzte, fragte mich mein Nachbar, ob ich aufgeben würde. Ich sagte ihm, ich sei fertig. Das erstaunte ihn scheinbar so sehr, dass er einen Neuner schoss, was letztendlich dazu führte, dass ich Staatsmeister wurde. Von da an ging es für mich aufwärts. Ich habe gemerkt, dass ich mich wieder beweisen kann und wenn ich mich wirklich einsetze, kann ich etwas erreichen. Meine Liebe zum Sportschießen war erwacht. Das Training der für das Schießen notwendigen Konzentration hat mir auch geholfen, den Alltag besser zu bewältigen und mobiler zu werden. Jetzt kann ich sagen, dass ich mental wieder der Mensch bin, der ich früher war.

  

10,9: Sie sind nicht nur aktiver Schütze, sondern setzen sich auch organisatorisch stark für den Schießsport ein. Was sind die Hintergründe für Ihr Engagement?
Moor: Es war mir bald ein großes Ziel, meine Erfahrung an andere weiterzugeben. Seit 2009 bin ich im Österreichischen Behindertensportverband, dem Para-Sport Austria, Fachreferent für blinde Schützen und seit inzwischen zwei Jahren bei der International Blind Sports Federation IBSA. Als Mitglied des IBSA Subkomitees bin ich auch maßgeblich daran beteiligt, dass unsere Sportart paralympisch wird. Hier sind wir 2014 in den Prozess aufgenommen worden, 2015 wurden mit der Cambridge University London die Klassifizierungsrichtlinien festgelegt und nun geht es darum, die Zieleinrichtung mit dem Paralympischen Komitee zu klären. Ab 2024 werden wir eine paralympische Sportart sein, was für uns Schützen ein riesiger Schritt nach vorne ist.


10,9: Wie funktioniert das Schießen als sehbehinderter oder blinder Schütze?
Moor: Bis jetzt haben wir mit einer Swarovski-Optik geschossen, die auf dem Luftgewehr montiert ist. Auf die Scheibe wird ein weißer Punkt geklebt, der mit einer Lampe beleuchtet wird. Die Optik erfasst das eintreffende Licht und wandelt es in einen Ton um. Der Schütze nimmt den Ton über den Kopfhörer wahr. Deshalb muss es am Stand ruhig sein und es sollte nicht gesprochen werden. Der Assistent richtet den Schützen ein und achtet darauf, dass er nicht auf eine falsche Scheibe schießt. Die Kommunikation zwischen Schützen und Assistenten, auch was das Ergebnis der Schüsse betrifft, erfolgt über Berührungen.

  

10,9: Wie kam es zu Ihrem Engagement, ein neues Zielsystem zu entwickeln?
Moor: Die zukünftige Teilnahme an den Paralympics machte es notwendig, ein einheitliches Zielsystem zu verwenden. So wurde ab 2014 fieberhaft nach neuen Möglichkeiten gesucht. Nachdem keine der Firmen, die sich bisher damit befassten, ein geeignetes System anfertigen konnten, habe ich mich als ausgebildeter Programmierer, Elektronikentwickler und Schütze Anfang 2015 selbst ans Werk gemacht und ein neues System namens VIASS entwickelt. Dieses System wurde beim internationalen Alpine Cup im September 2015 in Innsbruck das erste Mal der Öffentlichkeit vorgestellt und mit Begeisterung von den Schützen angenommen. Mittlerweile sind wir mit VIASS Marktführer. Das neue System funktioniert ähnlich einem Fotoapparat mit Gesichtserkennung. Eine Hochgeschwindigkeitskamera erkennt die Zielscheibe und errechnet sich daraus die Position, die wiederum als Ton an den Kopfhörer des Schützen weitergegeben wird. Das komplette Gerät wiegt 200 Gramm und wird direkt auf dem Luftgewehr montiert, kann aber auch auf einer Luftpistole oder Kleinkaliberwaffe verwendet werden. Das ermöglicht den blinden Schützen ein weiteres Sportspektrum.

10,9: Sie haben erwähnt, dass der Sportler im Wettbewerb von einem Assistenten begleitet wird. Das ist in Ihrem Fall Ihre Frau, stimmt das?
Moor: Ja, genau. Für mich ist es noch wichtig zu erwähnen, dass behinderte Sportler nur in Zusammenarbeit mit Sehenden ihren Sport ausüben und Erfolge erzielen können, sei es als Begleitsportler – wie in meinem Fall meine Frau – oder in den Vereinen. Mein Dank gilt hier vor allem meinem Verein, der USG Wolfurt, bei dem ich auf meine Bedürfnisse abgestimmt jederzeit trainieren kann.


10,9: Herzlichen Dank für das Gespräch! (Interview: Mag. Tina Neururer)

STecKBRIeF:
Name: Patrick Moor
Jahrgang: 1969
Disziplin: Luftgewehr
Größte Erfolge: Vizeeuropameister 2014, 4. Platz WM 2008,
1. Platz Schlesien Cup (POL) 2012 und 2014,
mehrfacher und amtierender Staatsmeister



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